30.9.04

soma nachlese

29.9.04

Programm für das Lab30 in Augsburg

1.
Raucherkino+ in: 10 FÄUSTE FÜR RICCARDO
Ein audiovisueller Tribut an Riccardo Pizzuti


»Was gibt´s´n da zu glotzen, Silberlocke?«
Wer ist dieser Mensch, der uns eine Retrospektive wert ist, und was macht ihn aus? Riccardo Pizzuti ist der Typ, der so gut wie immer einstecken muss, wenn Bud Spencer und Terrence Hill prügeln, und das tun sie nicht selten. Riccardo Pizzuti ist Silberlocke, der semi-legendärste unter den Italo-Italos. Schmierig as schmierig can, aber zur Stelle, wenn man ihn braucht. Es ist nicht in erster Linie die Freude am Wühlen im Haufen kulturindustrieller Abfallprodukte, die uns zu diesem Projekt veranlasst. Auch das übliche saisonale Ausschlachten von Kindheitserinnerungen für irgendwelche Dekaden-Revivals ist nicht unser vorrangiges Anliegen. Was uns interessiert: Riccardo als Mikrokosmos menschlicher Beschaffenheit, Riccardo als Kulminationspunkt zeitloser Prinzipien:

Die anrührende Tragikomik einer ewigen Zweite-Reihe-Figur
Riccardo ist in fast jedem Spencer/Hill-Film dabei, und jedes, wirklich jedes Mal kriegt er die Fresse poliert. Aber eher selten sieht man auch nur seinen Namen im Vor- oder Abspann. Er hat kaum Sprechrollen, und wenn doch, dann sind es kurze, sloganhafte Sätze (meist provozierenden Inhalts). Sein Schicksal ist das Schicksal des Ewig-Unterschätzten, des unknown soldiers: Enorme Einsatzbereitschaft bis hin zur Einbuße der körperlichen Unversehrtheit, Treue bis hin zur Selbstaufgabe – aber Ruhm und Ehre fahren andere ein. Lonely Rider, unverstandener Held.

Die ureigene Poesie einer klassischen Ganovenvisage, der besondere Charme verfrühter Siegesgewissheit
Riccardo spielt selten oder nie den Oberbösewicht. Seine Standardrolle ist die des Wortführers der Exekutive des jeweils zu erledigenden Scheibtischtäters: Der Erste im Schlägertrupp, der sein Maul aufreißt, der Erste, der es – überraschend für ihn selbst, vorhersehbar für den Rezipienten – gestopft bekommt. Immer wunderschön anzusehen: Riccardos Gesichtsausdruck in der Schlägerei-Anbahnungsphase und der Stimmungs-Abfall nach den ersten Schlägen. Ein ergrauter Halbstarker, der den kurzen Weg vom Großmaul zum Prügelknaben mit der denkbar größten Souveranität beschreitet. Man fragt sich, was die Charaktere, die er spielt, noch so ausmacht, neben der infantilistischen Freude an physischer Gewaltausübung. Wie sieht ihr Alltag aus, wie gestalten sie ihre Freizeit?

Serialität als Gemütlichkeitsfaktor
Ob mit oder ohne Bart, ob unterm Cowboyhut oder im eher neuzeitlichen Kleinkriminellen-Outfit: Riccardo bleibt Riccardo. Sein Auftauchen ist fast sicher, und wenn er auftaucht, ist sicher, dass er nach allen Regeln der Kunst verdroschen wird. Riccardo verkörpert das Prinzip des Loops: Die Art von Gemütlichkeit, die so nur in einem geschlossenen Kosmos mit vorhersehbaren, wiederkehrenden Ritualen entstehen kann. Riccardo ist Campbell´s Tomato Soup, Riccardo ist Torte am Sonntagnachmittag. Riccardo ist in uns allen.
(Text: Konrad Feuerstein)

2.
Raucherkino+ in: Life out of Balance mit neuem Ton

Wie klingt ein Film? Gibt es nur einen Weg die bewegten Bilder akustisch zu untermalen oder gibt es andere Möglichkeiten und wohin führen sie? Tut man vielleicht sogar etwas "Verbotenes"? In der Vergangenheit hat sich das [raucherKINO] bereits an die Neuvertonung eines Filmklassikers herangewagt. In Zusammenarbeit mit dem kölner Musiker Dirk Kels aka "DJ Fankiebassbeton" wagten sie das Experiment Fritz Langs Meisterepos im Status Weltkulturerbes "Metropolis" neu zu interpretieren. Nuanciert, detailverliebt und innovativ schneiderte Dirk Kels seine Musik auf Vinyl live dem monumentalen Stummfilm auf den Leib. Das Ergebnis: ein sehr gelungener, beeindruckender Filmabend - Ein Meisterwerk in neuem akustischen Gewand.

Die beiden DJs Sascha Mikloweit (Strom und Liebe) und Holger Risse aka "und ich" machen es sich es kaum leichter: Sie wagen es einen von seiner Musik lebenden Film live zu bearbeiten. Ebenso ein filmisches Meisterwerk und Klassiker, der Maßstäbe gesetzt hat: "Koyaanisqatsi – Life out of Balance". Ein Film von Godfrey Reggio, der lediglich aus seinen Bildern und aus Musik besteht. Die Aufgabe der beiden Künstler besteht also darin, die Bilder von 1983 mit heutigen musikalischen Elementen und dem Umgang mit Musik in der Gegenwart zu verbinden, neue Bezüge zu schaffen, dabei aus dem Hintergrund zu agieren und den Film zu unterstützen. Wie der Klavierspieler im Orchestergraben in Zeiten des Stummfilms. Der ohne Frage beeindruckende Soundtrack von Phillip Glass wird zwar verschwinden, die Bilder aber musikalisch live neu interpretiert. Sicher wieder ein spannungsvolles Experiment.

Die [raucherKINO]-Crew wünscht gute Unterhaltung

Film ab! Ton ab!